Ein kurzer Rückblick: Die Entstehungsgeschichte …
Die Verabschiedung des Kinder- und Jugendhilfegesetzes (KJHG) 1991 stärkte und unterstützte den oben beschriebenen mädchenpolitischen Aufbruch. Die Früchte waren bald und sind immer noch zu sehen: Mädchentreffs, Mädchenräume oder „Offene Tür für Mädchen“ sind vor allem in der offenen Kinder- und Jugendarbeit fester Bestandteil der Angebote. Auf kommunaler, Landes- und Bundesebene gibt es zudem vielerorts gute Vernetzungsstrukturen für die Mädchenarbeit.
In Freiburg wurde Mitte der 1990er Jahre die AG „Mädchen in der Jugendhilfe“ gegründet, um den Lebenslagen von Mädchen und den Themen aus der Arbeit mit Mädchen bei der Jugendhilfe-planung Gehör zu verschaffen.
1997 stellte die AG Mädchen die Freiburger Leitlinien zur Mädchenarbeit vor. Diese sollen dazu beitragen, die gesellschaftliche Situation und die Lebens- und Sozialisationsbedingungen von Mädchen und jungen Frauen in Freiburg innerhalb und außerhalb der Jugendhilfe verstärkt in den Blick zu rücken. Damit soll die Voraussetzungen für eine gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe von Mädchen verbessert werden.
Mitgewirkt an der Erstellung haben Marianne Haardt und Petra Kieffer (beide Jugendhilfeplanung), Ursula Knöpfle (Frauenbeauftragte) sowie Mitarbeiterinnen aus der Mädchenarbeit und Vertreterinnen aus dem Jugendhilfeausschuss. Die Freiburger Leitlinien zur Mädchenarbeit wurden vom Jugendhilfeausschuss mit großer Mehrheit verabschiedet und traten am 1. Januar 1998 in Kraft.
Die Leitlinien:
ein Rahmen für eine reflektierte und mädchengerechte Jugendhilfe
Die Leitlinien sind ein kommunales Instrument zur Umsetzung des oben beschriebenen gesetzlichen Auftrags. Sie haben zwei konkrete Ziele hier vor Ort:
- Mädchenarbeit als Regelangebot dauerhaft zu etablieren und
- eine geschlechterreflektierende Perspektive mit Blick auf Mädchen als Querschnittskompetenz in der Kinder- und Jugendhilfe zu verankern.
Dazu bieten die Leitlinien eine Anleitung für alle Jugendhilfe-Träger, wie Einrichtungen und Angebote mädchengerecht gestaltet werden können. Gleichzeitig sehen die Leitlinien eine wirksame Vernetzungsstruktur für die Qualifizierung und Weiterentwicklung der Freiburger Mädchenarbeit und Arbeit mit Mädchen vor.
Freiburger Leitlinien zur Mädchenarbeit
Präambel
„Alle im Bereich der Jugendhilfe Tätigen – Fachkräfte, freie Träger, Verwaltung, Planungsgruppe Jugendhilfeplanung – setzen sich dafür ein, dass die Bedürfnisse und Belange von Mädchen anerkannt, Vorurteile und Geschlechterstereotypen aufgedeckt und Benachteiligungen bewusst gemacht werden. Sie tragen aktiv dazu bei, Benachteiligungen zu überwinden und die Gleichberechtigung von Jungen und Mädchen zu fördern.
I. Fachkräfte
(1) Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter achten auf die Belange von Mädchen und nehmen sie wahr. Sie
• sind bereit, sich mit ihrer Geschlechterrolle und ihrer eigenen geschlechtsspezifischen Sozialisation auseinanderzusetzen;
• nehmen Mädchen in ihrer gesellschaftlichen Rolle geschlechtsbezogen wahr;
• entwickeln in ihrem pädagogischen Handeln ein Bewusstsein für geschlechtsbezogene Arbeitsweisen und Wirkungen und sind bereit, ihr pädagogisches Handeln kritisch zu reflektieren.
(2) Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter qualifizieren sich in Fragen der geschlechtsbezogenen Pädagogik und Arbeit. Sie bilden sich in diesem Bereich regelmäßig fort. Sie nutzen Möglichkeiten zur
• Teilnahme an einschlägigen Fortbildungen und
• kollegialen Beratung und Supervision.
(3) Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter setzen sich durch ihr Handeln offensiv und engagiert für die Belange von Mädchen ein. Sie
• decken Benachteiligungen von Mädchen auf, thematisieren sie und tragen durch ihr Handeln aktiv dazu bei, diese zu überwinden;
• unterstützen Mädchen, ihre Stärken zu entfalten, ihre Interessen wahrnehmen und Bedürfnisse umsetzen zu können;
• mischen sich ein, wenn Mädchen diskriminiert, benachteiligt oder belästigt werden;
• wirken tradierten geschlechtsspezifischen Arbeitsteilungen entgegen, wenn diese Mädchen in ihren Entfaltungsmöglichkeiten und Erfahrungsspielräumen einschränken.
(4) Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter setzen sich aktiv für die Etablierung und Weiterentwicklung geschlechtsbezogener Ansätze in ihrem Arbeitsfeld ein. Sie
• nutzen aktiv die Möglichkeiten und Gestaltungsspielräume für geschlechtsbezogene Arbeitsweisen;
• sind für innovative Handlungsansätze in der Mädchenarbeit offen und beziehen diese in die eigene Arbeit mit ein.
II. Träger der Jugendhilfe
(1) Die Träger der Jugendhilfe sind im Rahmen der von ihnen wahrgenommenen Tätigkeiten und Aufgaben in allen Bereichen der Jugendhilfe gehalten, Angebotsstrukturen und Handlungsansätze im Hinblick auf die spezifischen Belange von Mädchen auszugestalten.
(2) In den fachlichen Konzepten ist die Geschlechterdifferenzierung sowohl in der Zielsetzung als auch in der methodischen Umsetzung als durchgängiges Prinzip zu beachten. Die Belange von Mädchen sind dabei besonders zu berücksichtigen:
Bestehende Konzepte sind auf dieses Kriterium hin zu überprüfen.
• Neue Konzepte sind grundsätzlich geschlechterdifferenziert auszuarbeiten.
(3) In koedukativen Arbeitsbereichen, Einrichtungen und Diensten soll eine paritätische Besetzung mit weiblichem und männlichem Fachpersonal angestrebt werden. Der Kindertagesstättenbereich ist hiervon ausgenommen.
(4) Bei Stellenausschreibungen sind geschlechtsspezifische Arbeitsanteile und Qualifikationserfordernisse auszuweisen und ausdrücklich zu benennen. Nachgewiesene Qualifikationen in der Mädchenarbeit sind als Entscheidungskriterium anderen Kriterien gleichzustellen und zu berücksichtigen.
(5) In der Stellenbeschreibung ist auszuweisen:
• Die unter Abschnitt I genannten Punkte (1) – (4) sind in der Stellenbeschreibung neben den quantifizierten Arbeitsanteilen als generelle Handlungsorientierungen aufzunehmen.
• In Einrichtungen und Diensten, in denen Mädchenarbeit geleistet wird, ist der entsprechende Arbeitsanteil in der Stellenbeschreibung festzuschreiben.
Im weiteren gilt:
• Bei neuen Stellenbeschreibungen ist dies durchgängig zu berücksichtigen.
• Bei bestehenden Stellen wirken die Träger darauf hin, daß mittelfristig eine Aktualisierung vorgenommen wird.
(6) Die Träger sind gehalten,
• einschlägige Fortbildungen und Qualifizierungsmaßnahmen anzuregen oder selbst durchzuführen;
• ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die Teilnahme an einschlägigen Veranstaltungen zu ermöglichen.
(7) Die Träger ermöglichen ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die Teilnahme an mädchenspezifischen Arbeitsgruppen und Gremien im Rahmen der trägerübergreifenden Zusammenarbeit auf Fachebene.
(8) Die Träger benennen für ihren Zuständigkeitsbereich eine Ansprechpartnerin für alle Fragen, die im Zusammenhang mit mädchenbezogenen Aspekten der Aufgabenwahrnehmung stehen.
(9) In den Berichten, Dokumentationen und Veröffentlichungen zur fachlichen Arbeit der Träger (Jahresberichte, Konzeptdarstellungen etc.) ist eine geschlechterdifferenzierende Betrachtung.
III. Verwaltung des Sozial- und Jugendamtes
(1) Die Punkte (1) bis (9) im Abschnitt II gelten für die Verwaltung des Sozial- und Jugendamtes analog.
(2) Ergänzend zu Abschnitt II, Punkt (6) gilt:
• Das Sozial- und Jugendamt wirkt darauf hin, daß mädchenspezifische Themen und Fragestellungen verstärkt in die Fachfortbildung aufgenommen werden.
(3) Ergänzend zu Abschnitt II, Punkt (8) wird geregelt:
• In den für Jugendhilfe zuständigen Fachabteilungen werden Ansprechpartnerinnen für Mädchenarbeit benannt.
• Für Aufgaben der abteilungsübergreifenden Koordination und Abstimmung wird eine eigene Ansprechpartnerin benannt. Diese Fachkraft initiiert und begleitet darüber hinaus die Entwicklung von Arbeitshilfen und Fortbildungsprogrammen.
(4) Soweit der öffentliche Träger selbst Leistungen im Bereich der Jugendhilfe erbringt, ist der Ressourceneinsatz grundsätzlich unter Berücksichtigung des § 9 KJHG auszugestalten.
IV. Jugendhilfeplanung
(1) Eine bereichs- und trägerübergreifende Vertretung von Mädchenbelangen in der Jugendhilfeplanung ist auf zwei Ebenen sicherzustellen:
• Als ein die Planung begleitendes trägerübergreifendes Gremium übernimmt die Arbeitsgruppe “Geschlechtsbezogene Jugendhilfeplanung” Vertretungsfunktion. In diesem Gremium arbeiten mit: Sprecherinnen von träger- und einrichtungsübergreifenden Arbeitskreisen und Arbeitsgruppen, die Stelle zur Gleichberechtigung der Frau, Vertreterinnen der Träger mit mädchenspezifischen Angeboten, gemeinderätliche Mitglieder des Jugendhilfeausschusses und eine Vertreterin der Planungsgruppe Jugendhilfeplanung. Näheres regelt die Geschäftsordnung.
• Die Verwaltung stellt sicher, daß über die Einbindung einer weiblichen Fachkraft in der städtischen Planungsgruppe Jugendhilfeplanung eine Ansprechpartnerin für Planungsfragen zur Verfügung steht.
(2) Für die thematische Bearbeitung der Planungsthemen ist eine durchgängige Geschlechterdifferenzierung vorzunehmen. Dies umfaßt
• eine geschlechtsbezogene Differenzierung bei der Bestandserhebung, Bedarfsfeststellung und Maßnahmenplanung;
• die Eröffnung von geeigneten Beteiligungsmöglichkeiten, über die Mädchen ihre Interessen und Bedürfnisse artikulieren und einbringen können.
(3) Aufgabe der Jugendhilfeplanung ist es, sich dafür einzusetzen, daß die Belange von Mädchen bei anderen Institutionen und öffentlichen Einrichtungen, deren Tätigkeit sich auf die Lebenssituation von Mädchen auswirkt, Berücksichtigung finden. Dies betrifft insbesondere die Bereiche:
– Stadtplanung
– Schule und Schulverwaltung
– Einrichtungen und Stellen der beruflichen Aus- und Weiterbildung
– Arbeitsverwaltung
(4) Die Planungsgruppe Jugendhilfeplanung berichtet dem Jugendhilfeausschuss in zweijährigem Turnus über den Stand der Mädchenarbeit und die Umsetzung der in den Leitlinien formulierten Zielsetzungen und Vorgaben. Die Träger der Dienste und Einrichtungen verpflichten sich, die hierfür erforderlichen Daten und Informationen zur Verfügung zu stellen.
V. Finanzielle Förderung
(1) In den Beratungen zum Zuschusshaushalt sind Entscheidungen, die sich auf die Förderung der Träger oder die Mittelvergabe auswirken, grundsätzlich unter Mitberücksichtigung der Vorgaben von § 9 KJHG zu treffen. Dies gilt insbesondere dann, wenn neue Angebote erstmalig in die Förderung aufgenommen werden sollen.
(2) Es ist darauf hinzuwirken, dass für die Aufgabenwahrnehmung im Bereich der Jugendhilfe – Aufgabenfeld 21 “Angebote für Frauen und Mädchen” – im Zuschusshaushalt Fördermittel in angemessener Höhe zur Verfügung gestellt werden.
(3) Bei neuen innovativen Einzelmaßnahmen bzw. Projekten zur Mädchenarbeit können außerhalb der Regelförderung befristet angemessene Zuschüsse gewährt werden.
(4) Über die Verwendungsnachweise werden bei den Trägern Angaben zu folgenden Punkten erhoben:
• Ansprechpartnerin des Trägers entsprechend Abschnitt II, Punkt (8)
• Darstellung des geförderten Fachpersonals
• Anteil von Nutzerinnen
(5) Finanzielle Förderungen erfolgen jeweils unter dem Vorbehalt der zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel.
VI. Angebotsbezogene Vorgaben fur die Schaffung mädchengerechter Jugendhilfestrukturen
(1) Die Träger sind gehalten, ihre Angebote so zu organisieren, dass den Mädchen eine weibliche Fachkraft zur Verfügung gestellt werden kann.
(2) Insbesondere ist zu gewährleisten, dass
• Mädchen, die sich an das Sozial- und Jugendamt wenden, dort mit einer weiblichen Ansprechpartnerin Kontakt aufnehmen können;
• bei Angeboten der “Offenen Tür” eine weibliche Fachkraft als Ansprechpartnerin anwesend ist.
(3) Die Träger stellen sicher, dass Rückzugsmöglichkeiten und Räume zur vorrangigen Nutzung für Mädchen vorhanden sind.
(4) Die Träger wirken darauf hin, dass bei der Gestaltung ihrer Angebote die Belange von Mädchen aus anderen Kulturkreisen angemessene Berücksichtigung finden. Dies sollte auch bei der Besetzung des Fachpersonals zum Ausdruck kommen.
VII. Inkrafttreten
Die Freiburger Leitlinien zur Mädchenarbeit in der Kinder- und Jugendhilfe treten am 01. Januar 1998 in Kraft.